FRANKFURT/BRÜSSEL/PEKING — Chinas Vorsprung in der globalen Batterieproduktion wächst weiter, während Europas Bemühungen, eine wettbewerbsfähige Batteriezellenindustrie aufzubauen, ins Stocken geraten.
Der jüngste finanzielle Zusammenbruch des schwedischen Start-ups Northvolt ist mehr als ein Einzelfall – er ist ein Symptom tiefer liegender, systemischer Probleme in der Strategie der Europäischen Union, eine lokale Lieferkette für Batterietechnologie zu entwickeln. Bislang gibt es keine einheitliche Reaktion der Akteure auf die wachsende Lücke.
Kein klarer Konsens in Europa
Trotz zunehmender Dringlichkeit gehen die Reaktionen von Auto-Managern, Wirtschaftsexperten und Beratungsfirmen weit auseinander – und widersprechen sich häufig.
„Batterien sind für viele Branchen entscheidend, nicht nur für Elektrofahrzeuge“, sagt Achim Kampker, Professor für Produktion von Elektromobilität an der RWTH Aachen. „Wenn wir in diesem Bereich an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, geraten wir auch in der Luftfahrt, der Schifffahrt, der Medizintechnik und bei stationären Speichern ins Hintertreffen.“
Auch ein Sprecher des Verbands der Automobilindustrie (VDA) warnt: „Batterietechnologie und der rasche Aufbau von Lieferketten sind essenziell, um die globale Wettbewerbsfähigkeit Europas in der Automobilbranche zu sichern.“ Die Vision sei es, Deutschland und Europa als Innovationszentren und Produktionsstandorte für fortschrittliche Batteriesysteme zu etablieren. Doch die Realität sieht anders aus.
Nur 2 von 27 angekündigten Projekten in Betrieb
Eine aktuelle Recherche der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zeigt: Von den 27 angekündigten europäischen Batteriezellwerken sind derzeit lediglich zwei in Betrieb. Ein drittes Werk, Volkswagens Standort in Salzgitter, soll Ende dieses Jahres mit einer begrenzten Produktion beginnen. Sechs weitere Anlagen befinden sich im Bau. Zusammengenommen könnten diese neun Werke eine Jahreskapazität von 314 GWh liefern.
Doch 18 der 27 Projekte – also zwei Drittel – wurden entweder abgebrochen oder auf unbestimmte Zeit verschoben, aufgrund von Insolvenzen, Baustopps oder Finanzierungslücken. Das bedeutet: Nur 11 % der ursprünglich geplanten europäischen Produktionskapazität sind derzeit aktiv, während 69 % gestrichen oder verzögert wurden.
Dies steht in krassem Gegensatz zum ursprünglichen Ziel: Eine gemeinsame Jahreskapazität von 1.031 GWh war geplant – genug für Millionen von Elektrofahrzeugen.
Marktnachfrage wird von asiatischen Konzernen gedeckt
Die derzeit noch relativ geringe europäische Nachfrage nach E-Autos wird weitgehend von asiatischen Herstellern bedient. Koreanische und chinesische Produzenten liefern 207 GWh, weitere von China unterstützte Werke in Ungarn und Spanien sollen in den kommenden Jahren zusätzliche 178 GWh beisteuern.
Die europäische Batteriezellproduktion hinkt sowohl in Bezug auf die Skalierung als auch auf die Kostenwettbewerbsfähigkeit deutlich hinterher. Eine Analyse der Berylls Strategy Advisors aus dem Jahr 2024 zeigt: Eine in China produzierte Batterie ist im Schnitt 24 % günstiger als eine in den USA und 33 % günstiger als eine in Europa hergestellte.
Strukturvorteile treiben Chinas Aufstieg
Chinas Dominanz beruht auf mehreren strategischen Vorteilen:
- Staatlich unterstützte Investitionen und politisches Engagement für Batterieinnovation
- Gesicherter Zugang zu globalen Rohstoffen
- Günstige Energiekosten und Skaleneffekte durch Massenproduktion
„Neue Investitionen in europäische Zellproduktion lassen sich derzeit kaum rechtfertigen“, sagt Andreas Piontek, Partner bei Berylls. „Bis 2030 erwarten wir, dass das globale Batterieangebot den Bedarf um mehr als das Dreifache übersteigt. Schon jetzt liegt die weltweite Produktionskapazität beim Vierfachen des Marktbedarfs.“
China hingegen schreitet rasch voran in Richtung neuer Batterietechnologien – darunter Feststoff- und Natrium-Ionen-Batterien – und baut seine industrielle Kapazität weiter aus, unterstützt durch staatliche Subventionen und gezielte Ressourcenallokation, mit der Europa kaum mithalten kann.
Realismus verdrängt Optimismus
Thomas Puls vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) warnt, dass Batterien zwar wahrscheinlich zur zentralen Komponente künftiger Lieferketten werden, ein europäischer Produktionsfußabdruck aber dennoch unrealistisch bleiben könnte. „Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Gegenwinde und der schwachen Rentabilität von E-Autos mag Batteriezellproduktion wünschenswert sein – aber unter den derzeitigen Bedingungen ist sie kaum umsetzbar.“
Dringender Strategiewechsel nötig
Der Zusammenbruch von Northvolt ist nicht nur das Scheitern eines Unternehmens – er ist ein strategisches Alarmsignal für Europa. Während China weiter voranstürmt, gestützt durch Skaleneffekte, Integration und staatliche Lenkung, bleibt Europa zersplittert und unter seinen Möglichkeiten. Ohne eine koordinierte, gut finanzierte und politisch breit unterstützte Batteriestrategie droht dem Kontinent der irreversible Rückstand in einem der entscheidendsten industriellen Zukunftsfelder des 21. Jahrhunderts. (zai)
Quellen: Reuters, Berylls Strategy Advisors, VDA, RWTH Aachen, IW Köln, IEA, European Battery Alliance.