China gestaltet den wirtschaftlichen Umbau

Beijing – Die Zeit des zweistelligen Wachstums scheint in China erst einmal vorbei zu sein. Die Wirtschaft wächst zunehmend langsamer. Doch genau das ist der Preis für einen dringend nötigen Strukturwandel von dem auch Europa profitieren kann.

Chinas Nordosten steht mit seinen rauchenden Schloten und den gewaltigen Fabrikanlagen für Chinas altes Wachstumsmodell. Die Schwerindustrie katapultierte das Entwicklungsland in rasantem Tempo unter die aufstrebenden Schwellenländer. Aber China will nicht mehr Werkbank der Welt sein und seine Umwelt dem Wirtschaftswachstum opfern.

Diese Botschaft hat Chinas Ministerpräsident Li Keqiang im Gepäck, als er am Dienstag die Region besucht. „Entwicklung ist der Schlüssel zur Lösung von Chinas Problemen“, sagt der Regierungschef. Er will den Menschen in den Provinzen Liaoning, Jilin und Heilongjiang Mut machen. Er weiß bereits, dass Chinas Wirtschaft im ersten Quartal im Jahresvergleich mit 7,0 Prozent auf das niedrigste Wachstum seit den Ausläufern der Finanzkrise vor sechs Jahren gefallen ist. Besonders der Nordosten leidet seit Jahren unter dem Strukturwandel.

In der Vergangenheit antwortete die Zentralregierung reflexartig mit Konjunkturspritzen auf Wachstumsdellen. Aber den Automatismus soll es nicht mehr geben, hat Li angekündigt. Nachdem viele Branchen mit gewaltigen Überkapazitäten kämpfen, und der Immobilienmarkt in den Großstädten als überhitzt gilt, wäre mehr billiges Geld ohnehin riskant.

„Eine Reform ist nötig“

„Der China-Boom ist nicht pauschal zu Ende“, sagt Sebastian Heilmann, Direktor des China-Instituts Merics in Berlin. Aber er spezialisiere sich. Für traditionelle Boom-Branchen wie Chemie, Automobilindustrie und große Teile des Maschinenbaus gingen die Zeiten zweistelligen Wachstums zu Ende. „Ungebrochen starke Wachstumschancen aber gibt es in Einzelbranchen wie etwa Robotik, Steuerungstechnik, Energiespar- und Umwelttechnik, Medizintechnik und Spezialchemie.“

Das Ende von Chinas Turbowachstum in vielen Branchen ist keine Schreckensnachricht, findet der ehemalige US-Finanzminister Henry Paulson. „Wir müssen uns an ein langsameres Wachstum in China gewöhnen. Das ist kein Grund zur Verärgerung“, schreibt der Leiter des Paulson Institut. China befinde sich am Scheideweg. Ãœber Jahrzehnte hätten günstige Kredite, gewaltige Staatsausgaben sowie Exporte und Privilegien für überbordende Staatssektoren das Wachstumsmodell dominiert. „Eine Reform ist nötig“, schreibt Paulson in der US-Wirtschaftszeitung „Wall Street Journal“.

Genau diese Reformen will Li Keqiang auf den Weg bringen. China will den größten Strukturwandel seiner Wirtschaft seit Jahrzehnten anstoßen. Die Zentralregierung will das Land weg von der Exportabhängigkeit hin zu einer modernen Wirtschaft bringen, die sich zu einem großen Teil über Konsum im eigenen Land speist. Bislang seien die Reformen auf einem guten Weg, sagt die Finanzkommentatorin Ye Tan. „Normalerweise steigt in Phasen des Strukturwandels die Arbeitslosigkeit. Das ist bislang nicht passiert. Das halte ich für den bislang größten Erfolg der Reformen“, sagt Ye.

Chancen für europäische Firmen

Von dem Reformprogramm könnten auch europäische Firmen profitieren. Denn der Staat soll sich in China als mächtiger Akteur weiter zurückziehen. Der Markt werde eine größere Rolle bekommen, hatte die Kommunistische Partei bei ihrem 3. Plenum im November 2013 beschlossen. Gerade in hochtechnologischen Branchen will sich China stärker für ausländische Unternehmen öffnen. Darüber hofft die Zentralregierung auch, die Innovationskraft ihrer eigenen Firmen zu stärken.

Noch ist aber nicht klar, wie weit Regierungschef Li Keqiang das Wachstum fallen lässt, bevor er doch wieder zu Konjunkturspritzen greift. Zumindest die Ausgaben für Infrastruktur will Li in diesem Jahr weiter ankurbeln. Bis zum Jahresende sollen alleine 8000 Kilometer neue Eisenbahnstrecke in Betrieb gehen. Quelle: dpa