Altkanzler Schmidt: „Der Westen wird an Einfluss verlieren“

München – Politiker aus Ost und West treffen sich derzeit in München auf der Sicherheitskonferenz. Auch Helmut Schmidt ist noch einmal dabei: Der greise Altkanzler befürchtet, dass Europa in der Bedeutungslosigkeit versinkt. Ferner:  Auf die USA könne man in Zukunft auch nicht länger setzen.

Alt-Bundeskanzler  Schmidt vermutet, dass die Vereinigten Staaten sich bis zur Mitte des Jahrhunderts sukzessive aus den globalen Machtkämpfen zurückziehen. Das berichtet die „Frankfurt Allgemeine Zeitung“ („FAZ“) in ihrer Online-Ausgabe. In einem Videointerview mit der Münchner Sicherheitskonferenz habe der 95-Jährige gesagt, die Mehrheit der Amerikaner werde künftig eher „an einer anständigen europäischen Sozialversicherung interessiert sein“, als sich an einem Streit um „irgendwelche Inseln im Chinesischen Meer“ zu beteiligen.

Schmidt habe sich in seiner Vermutung auf die wiederkehrende isolationistische Tradition in der amerikanischen Außenpolitik, ihrer prognostizierten Unabhängigkeit von Energieimporten ab 2020 und den Folgen der sich wandelnden Gesellschaftsstruktur des Landes gestützt. Ab der Mitte des Jahrhunderts werde die Mehrheit der Bevölkerung von Afro- und Lateinamerikanern gestellt, deren Familien sich häufig mehr auf das Fortkommen ihrer Kinder konzentrieren würden als auf sicherheitspolitische Konflikte.

„Meisten Menschen werden übereinander leben und verführbar sein“

Große sicherheitspolitische Herausforderungen machte Schmidt für Russland aus. „Das Problem der Russen ist ihr riesiges Territorium“, sagte Schmidt. Während im Land selbst die Bevölkerung schrumpfe und ganze Landstriche aufgegeben werden müssten, würden die mehrheitlich muslimisch geprägten Nachbarstaaten Zentralasiens, inklusive Afghanistan und Pakistan, ständig mehr Kinder bekommen. Offenkundig meinte Schmidt damit den Migrationsdruck, der auf die russischen Grenzen zukommen könnte. Vor einem ähnlichen Problem stehe China.

Als größte Herausforderung betrachtet Schmidt allerdings den weltweiten Verstädterungsprozess: Er erinnerte daran, dass die Weltbevölkerung Prognosen zufolge bis zum Jahr 2050 auf neun Milliarden Menschen anwachsen werde und die Menschen in den Städten zunehmend verarmten. „Die große Mehrzahl dieser Menschen wird in Städten leben, wird übereinander leben und wird verführbar sein. Das wird ein Sicherheitsproblem sein, das die Sicherheitskonferenz bisher nicht behandelt hat“, mahnte Schmidt wenig später auf einer Gedenk-Sitzung.

„Europa könnte schon bald keine große Rolle mehr spielen“

Auch für Europa berge dies Sicherheitsprobleme. „Lampedusa ist erst ein Vorspiel“, so Schmidt weiter. Auf die EU setzt der Altkanzler dabei wenig Hoffnung: Wenn diese „weiterhin so vor sich hin wurschtelt wie in den letzten 10 Jahren, dann kann es sein, dass es die Nato zwar noch gibt, aber es gibt die EU nicht mehr.“ Die Europäer überschätzten ihre Bedeutung und seien rückwärtsgewandt. Es könne sogar sein, dass sie bald überhaupt keine große Rolle mehr spielen würden.

Die Münchner Sicherheitskonferenz forderte Schmidt der „FAZ“ zufolge dazu auf, zunächst einmal den Aufstieg Chinas, die sicherheitspolitische Uneinigkeit Europas und die schwindende Gestaltungsmacht der Amerikaner zur Kenntnis zu nehmen. Die Teilnehmer müssten sich mit geostrategischen und geoökonomischen Problemen befassen – auch gemeinsam mit den Chinesen. Dass die Vertreter Pekings mittlerweile regelmäßig auf der Konferenz vertreten sind, halte er für „sehr vernünftig.“ Quelle: dpa