Absturzbericht von Air India: Verwirrung im Cockpit

NEU-DELHI – Eine vorläufige Untersuchung des Flugzeugabsturzes einer Air India Boeing 787-8 Dreamliner am 12. Juni hat entscheidende Verwirrung im Cockpit unmittelbar vor dem Leistungsverlust und dem darauffolgenden Absturz kurz nach dem Start aus Ahmedabad in Richtung London offenbart.

Der von der indischen Flugunfalluntersuchungsbehörde AAIB (Aircraft Accident Investigation Bureau) veröffentlichte Bericht ergab, dass beide Treibstoffabschalthebel der Triebwerke kurz nach dem Start unerklärlicherweise auf „Cutoff“ umgelegt wurden, was zu einem sofortigen und katastrophalen Schubverlust führte.

Laut Aufzeichnungen des Cockpit-Stimmenrekorders fragte ein Pilot den anderen: „Warum hast du den Treibstoff abgestellt?“ – worauf der andere antwortete: „Ich habe das nicht getan.“ Der Bericht der AAIB legte nicht offen, welcher der beiden Piloten welche Aussage machte oder wer den Notruf „Mayday“ kurz vor dem Aufprall absetzte.

Der verantwortliche Flugkapitän, Sumeet Sabharwal (56), war ein äußerst erfahrener Pilot und Ausbilder mit über 15.600 Flugstunden. Sein Co-Pilot, Clive Kunder (32), hatte mehr als 3.400 Flugstunden. Beide kamen bei dem Unfall ums Leben – ebenso wie alle 337 Passagiere und Crew-Mitglieder, was den Vorfall zur tödlichsten Flugkatastrophe weltweit seit 2014 macht.

Verwirrung im Cockpit – keine Hinweise auf technische Fehlfunktion

Videoaufnahmen vom Flughafen zeigen, dass kurz nach dem Start eine sogenannte Ram Air Turbine (RAT) – ein Notstromaggregat – ausgefahren wurde, was auf einen vollständigen Leistungsverlust der Triebwerke hindeutet. Dennoch wurden die beiden Treibstoffschalter beim Auffinden am Unfallort in der „Run“-Position festgestellt. Laut Bericht gab es auch Hinweise darauf, dass beide Triebwerke vor dem Aufprall auf niedriger Höhe versuchten, sich neu zu zünden.

Trotz des verheerenden Ausgangs hat die AAIB keine Sicherheitsempfehlungen an Boeing, den Hersteller des Flugzeugs, oder an GE, den Hersteller der GEnx-1B-Triebwerke, ausgesprochen. US-Luftfahrtexperten stellten jedoch Fragen dazu, wie und warum die Schalter umgelegt wurden.

„Ein Pilot sollte nicht in der Lage sein, versehentlich beide Treibstoffschalter umzulegen,“ sagte der Luftfahrtexperte Anthony Brickhouse, der menschliches Versagen, Verwirrung oder ein unbekanntes Systemproblem im Cockpit als mögliche Ursachen nannte. „Haben sich die Schalter selbst bewegt oder wurden sie vom Piloten betätigt – und wenn ja, warum?“

Konstruktion und Systemdesign unter Beobachtung

Die Positionierung und Empfindlichkeit der Treibstoffabschaltungsschalter – die normalerweise nur beim Abstellen der Triebwerke am Gate oder im Falle eines Triebwerksbrands verwendet werden – steht erneut in der Kritik. Obwohl sowohl Boeing als auch GE keine bekannten Mängel an den beteiligten Systemen einräumen, halten es Luftfahrtexperten für wahrscheinlich, dass die AAIB bei neuen Erkenntnissen eine Überprüfung der Konstruktion empfiehlt.

US-amerikanische Luftfahrtbehörden, darunter die NTSB und die FAA, beobachten die Untersuchung in Indien sehr genau und warten auf weitere Auswertungen von Flugdaten.

Zurückhaltung bei Air India

Air India veröffentlichte eine kurze Erklärung auf X (ehemals Twitter), sprach den Angehörigen ihr Beileid aus und bestätigte die volle Zusammenarbeit mit den Behörden. Weitere Stellungnahmen will das Unternehmen bis zur Fertigstellung des Abschlussberichts nicht abgeben.

Mit dem Abschlussbericht wird Anfang 2026 gerechnet – nach detaillierter Analyse von Flugdaten, Cockpitaufzeichnungen und Simulationsprüfungen. Bis dahin bleibt offen, ob menschliches Versagen, Systemfehlkommunikation oder ein mögliches Konstruktionsproblem zum tragischen Unglück geführt hat, das das Vertrauen in die globale Luftfahrt erneut erschüttert hat.

ZUSAMMENFASSUNG DER SCHLÜSSELBEFUNDE:

  • Piloten offenbar nicht bewusst, dass Treibstoff abgeschnitten wurde
  • Keine bekannten mechanischen Defekte bei Boeing oder GE
  • Schalterstellungen, Pilotenhandlungen und Systemdesign werden untersucht
  • Abschlussbericht wird innerhalb von 12 Monaten erwartet

(zai)